Was sich nicht wiederholen sollte

Angesichts der dramatischen Entwicklung in Afghanistan war in den vergangenen Tagen immer wieder zu hören, dass sich 2015 nicht wiederholen dürfe: Zunächst in Deutschland vom CDU-Spitzenkandidaten Armin Laschet, kurz darauf in Österreich etwa von Innenminister Nehammer oder SPÖ-Vorsitzenden Rendi-Wagner. Aber was heißt das überhaupt?

Die Aussage soll wohl an die große Fluchtbewegung von 2015 erinnern, während der viele Menschen – etwa aus Syrien und Afghanistan – nach Europa und auch Österreich kamen um Asyl ansuchten. Sie verkürzt die Ereignisse allerdings auf einen rein negativen Rückblick und ist allein deshalb problematisch, wie etwa die Süddeutsche Zeitung oder die Presse umreißen.

Dominante Themen

Unbestritten waren die damaligen Entwicklungen ein großes Thema in der Öffentlichkeit und bewegten viel in der öffentlichen Meinung. Das lässt sich an einigen Wahlforschungsdaten des ORF nachzeichnen. 2015 gab es vier Landtagswahlen. Zwei davon, jene im Burgenland und der Steiermark, fanden vor dem Höhepunkt der Entwicklungen im August und September statt, zwei weitere – Oberösterreich und Wien – erst danach.

Bereits in den eingesetzten Fragebögen fanden die Ereignisse Niederschlag. Enthielten diese Anfang des Jahres noch „Zuwanderung und Integration“ als mögliche Themen für eine Entscheidung der Wähler*innen, wechselte man ab September zu „Flüchtlinge und Asyl“. Natürlich macht die genaue Formulierung einen Unterschied, im konkreten Fall kann man aber davon ausgehen, dass alle Begriffe weitgehend gleich verstanden wurden.

Das Thema Migration war in der ersten Jahreshälfte nicht auffällig, es war eines unter zahlreichen anderen, überlagert beispielsweise von „Wirtschaft und Arbeitsplätze“ oder den „Kosten des täglichen Lebens“. Ab September dominierte es die Diskussionen der Befragten mit Abstand und in einer Deutlichkeit, die in den vergangenen Jahren ihresgleichen sucht. Es lag in allen Altersgruppen vorne und war auch unter Wähler*innen aller Parteien das jeweils meistdiskutierte Thema. Platz für parteispezifische Schwerpunkte gab es nicht mehr.

 

Die drei jeweils „am häufigsten diskutierten Themen“ der Landtagswahlen Burgenland, Steiermark, Oberösterreich und Wien 2015

„Haben Sie im Wahlkampf über folgende Themen sehr, ziemlich, wenig oder gar nicht diskutiert?“ nur „sehr diskutiert“. Angaben in Prozent.
Quelle: ORF-Wahltagsbefragungen zu den Landtagswahlen 2015, durchgeführt von ISA/SORA.

Wenig Vertrauen in Politik

Noch eindrucksvoller war das Ergebnis einer anderen Frage: Die Wahltagsbefragungen erhoben auch, welche Gefühle die Bevölkerung der Politik im Kontext des Migrationsthemas entgegenbrachte – und diese waren überwiegend negativ.

Bei der Landtagswahl in Oberösterreich meinten 70 Prozent, dass sie Sorge oder Ärger hinsichtlich der Fähigkeit der Politik, die Flüchtlingsaufnahme zu bewältigen, empfinden würden (53 Prozent Sorge, 17 Prozent Ärger). Nur rund ein Viertel war zuversichtlich, am deutlichsten noch Grün-Wähler*innen mit 45 Prozent. Ähnlich war das Bild bei der Bewältigung der Integration: Hier äußerten 52 Prozent Sorge und 17 Prozent Ärger.

Die Daten sagen nichts darüber aus, ob jemand für oder gegen mehr Migration war, sondern lediglich, dass das Vertrauen in die Lösungsfähigkeit der Politik stark begrenzt war. Zwei Wochen später in Wien hatte sich daran nur wenig geändert, auch bei der Gemeinderatswahl meinten nach wie vor mehr als zwei Drittel, besorgt (48 Prozent) oder verärgert (20 Prozent) darüber zu sein, ob und wie die Politik die Herausforderungen bei der Integration bewältigen könne (die „Flüchtlingsaufnahme“ wurde aufgrund anderer Aussagen bei dieser Wahl nicht mehr abgefragt).

Wenn man vor einer Wiederholung von 2015 warnt, dann kann vieles gemeint sein. Die Aussage wird bei jeder und jedem andere Assoziationen auslösen. Nicht vergessen werden sollte dabei allerdings das angesprochene geringe Vertrauen in die Politik und deren Lösungskompetenz – eine Wiederholung davon können einfache Parolen kaum verhindern.