Die Österreicher*innen und die Pandemie

Samstag, 4.Dezember, die Hälfte des vorweihnachtlichen Lockdowns, der schon der Vierte seit Pandemiebeginn ist, ist überstanden. In der Innenstadt tummeln sich immer mehr Leute. Auf den Straßen, auf den Gehwegen und auf den großen Plätzen, allen voran dem Heldenplatz. Grund dafür ist eine Demonstration, wie es bereits viele dieser Art seit Pandemiebeginn gab. Die rechtspopulistische FPÖ ruft zur Demo auf, gemeinsam mit weiteren rechten Bündnissen und rechtsextremen Gruppen wie den Identitären, aber auch gemeinsam mit coronaskeptischen Organisationen und Parteien, wie der neugegründeten MFG Partei. Sie demonstrieren konkret gegen die Impfpflicht, die ab Februar 2022 gelten soll, aber auch generell gegen die Coronapolitik der Regierung. Daran hat auch die Tatsache, dass erst kürzlich der Kanzler gewechselt hat, nichts verändert.

 

War das Demonstrieren bei Rechten Parteien und ihren Wähler*innen früher eher unpopulär, scheint es mittlerweile immer beliebter zu werden. Das Demonstrieren war üblicherweise eine Partizipationsform, die vor allem von linken Parteien und Gewerkschaften genutzt wurde, um ihren Unmut gegenüber den Regierenden kund zu tun. Aber spätestens seit 2015, als zahlreiche Flüchtlinge nach Österreich kamen, formieren sich immer öfter auch rechte Parteien und Kreise auf den Straßen Österreichs. Die Pandemie scheint diesen Trend massiv zu beschleunigen. Fanden seit Pandemiebeginn bereits zahlreiche Demos statt, war die Anzahl linker Demos davon eher spärlich. Einmal, vorletzten Sommer, riefen zahlreiche Menschenrechtsorganisationen zu einer großen Black Lives Matter- Demonstration in Wien auf. Als Zeichen der Solidarität mit der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA, aber auch als Zeichen gegen Rassismus in Österreich.

Die lauten und zahlreichen Demos der Coronagegener*innen- und leugner*innen vermitteln den Eindruck, dass sich die Österreichische Gesellschaft spaltet bzw. dass die Veranstalter*innen dieser Demos eine breite Mehrheit der Österreichischen Gesellschaft vertreten. Auch deshalb riefen jetzt Forscher*innen die Geimpften und Gegner *innen dieser Demonstrationen auf, lauter zu werden. In einem Aufruf vom 9.Dezember 2021 appellieren sie „an die Mehrheit – klug, solidarisch und geimpft -, nicht länger zu schweigen”. Obwohl die Maßnahmen-Gegner*innen den Maßnahmen-Befürworter*innen zahlenmäßig weit unterlegen sind – zur Erinnerung: beinahe 70% der impfbaren Bevölkerung ist geimpft – so scheint es, bestimmen doch die Gegner*innen den Ton.

Dies alles bleibt nicht ohne Folgen für die österreichische Bevölkerung. Es befeuert das Argument, dass die österreichische Gesellschaft gespalten ist. Es mindert womöglich das Vertrauen der Österreicher*innen ineinander? Es beeinflusst wie die Österreicher*innen über die Demokratie denken, ob sie stark genug ist für dieser Krise? All dies kann man mit den Daten des Demokratieradars des Austrian Democracy Lab veranschaulichen.

Auf die Frage, ob sich Österreich womöglich auseinanderentwickelt, stimmten dem zwar bereits zu Beginn der Pandemie 73% zu, doch hat sich dieser Zustimmungswert im Sommer 2021 nochmal gesteigert, nämlich auf 81%. Dies ist zweifellos ein bedenklicher Wert.

Abbildung 1: Zustimmungswerte zu „Sorge, dass sich österreichische Gesellschaft auseinander entwickelt“

Der Frage, ob man den Menschen in Österreich vertrauen kann, stimmten am Beginn der Pandemie, im Frühjahr 2020, noch 65% zu. Knapp eineinhalb Jahre später tun dies nur noch 59%. Zwar ist dieser Wert weit weniger besorgniserregend als der Zustimmungswert auf die Frage ob sich Österreich auseinanderentwickelt, doch sollte sich dieser Trend verstärken, wäre auch das kritisch. Denn es ist gerade das Vertrauen in unsere Mitmenschen, welches die Gesellschaft zusammenhält, die Zivilbevölkerung stärkt und nährt. Eine stabile Gesellschaft ist wichtig für die Demokratie, insbesondere wenn es Kräfte gibt, die vermeintlich an den Säulen der Demokratie rütteln.

Abbildung 2: Zustimmung zu “Meisten Menschen kann man vertrauen”

Zweifellos stellt die Coronapandemie die größte Krise seit dem Beginn der 2. Republik dar. Da es sich aber nicht um eine politische, sondern um gesundheitliche Krise handelt, sollte man meinen, die Demokratie als Staats- und Regierungsform wird dadurch nicht in Frage gestellt. Doch im Gegenteil, auch auf die Frage, ob die Demokratie stark genug ist, um einer Krise zu trotzen, stimmten im Sommer 2021 rund 11 Prozentpunkte weniger zu als noch im Frühjahr 2020.

Abbildung 3: Demokratie für Krisen gefestigt?

Letztendlich riskieren wir noch einen Blick auf die Zukunftsperspektiven der Österreicher*innen. Und der ist frappant: Ganze 68% der Befragten im Sommer 21 antworteten auf die Frage, wie sich Österreich in der Zukunft entwickeln wird mit „negativ“ und nur noch 10% mit „positiv“. Zum Vergleich – im Frühjahr 2020 waren noch 30% positiv gestimmt, wohingegen 46% negativ in die Zukunft blickten.

Abbildung 4: Zukunftsperspektiven

Dass ein so großer Teil der Bürger*innen pessimistisch in die Zukunft blickt ist beunruhigend. Es ist ein Zeichen, dass die Österreicher und Österreicherinnen der Pandemie müde sind. Es ist ein Zeichen, dass sie erschöpft sind. Von den zahlreichen Lockdowns, von dem Hin und Her. Von immer weiteren negativen Neuigkeiten. Es sollte darüber hinaus auch ein Appell an die Politik bzw. an die Regierenden sein. Ein Mehr dieser Bevölkerung ist geimpft und trotzdem sehr pessimistisch. Aber wie kann es auch anders sein, wenn sie Lockdowns, für die sie nicht verantwortlich sind, mittragen müssen. Wenn sie Einschränkungen ihres alltäglichen Lebens hinnehmen müssen. Wenn sie verzweifelt sind.

Man kann letztendlich nur hoffen, dass diese Pandemie bald vorüber ist oder dass sie unseren Alltag nicht mehr so stark im Griff hat. Mögen die weiteren Maßnahmen der Regierung – Stichwort Impfpflicht – ihren Zweck erfüllen und die österreichische Bevölkerung vor weiteren Einschnitten bewahren. Denn sonst wird aus der Gesundheitskrise vielleicht doch auch noch eine politische Krise?

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