Zahlen, die für sich sprechen?

Statistiken und Umfragedaten dienen laufend als Argumente in politischen Diskussionen, auch dieser Blog bezieht sich immer wieder auf Zahlenmaterial. Dieses wirkt oft eindeutig, seine tatsächliche Aussage hängt aber stark von der Einordnung ab.

Ein aktuelles Beispiel: Ende Mai 2018 publizierte das Europäische Parlament eine Umfrage in Hinblick auf die EU-Wahl 2019. Darin enthalten war die Frage, inwieweit die Bevölkerung die Mitgliedschaft ihrer Länder in der Union für eine gute oder schlechte Sache hält. Europaweit antworteten 60 Prozent zustimmend zur EU, in Österreich konnten hingegen nur 45 Prozent der Mitgliedschaft etwas Positives abgewinnen. Österreich liegt damit „gleichauf mit Griechenland“, wie beispielsweise orf.at titelte, und nannte die heimische Bevölkerung zugleich „besonders skeptisch“. Der Befund stimmt, verkürzt aber das Gesamtbild.

Erstens steht der knappen Hälfte der Befragten, die die Mitgliedschaft positiv bewerten, nicht eine ähnlich große Gruppe an GegnerInnen gegenüber. Anders ausgedrückt, wenn 45 Prozent von einer guten Sache sprechen, dann sagen nicht automatisch 55 Prozent das Gegenteil. Konkret meinten das nur 16 Prozent – ein europaweit immer noch vergleichsweise hoher Wert, aber deutlich weniger als der Anteil der BefürworterInnen.

Die Mitgliedschaft in der EU ist…

Anmerkung: Die Daten für Österreich basieren auf 1.017 persönlichen Interviews, durchgeführt zwischen 11. und 22. April 2018.
Grafik: Flooh Perlot
Quelle: http://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/eu-affairs/20180522STO04020/eurobarometer-umfrage-hochste-unterstutzung-fur-die-eu-seit-35-jahren

Der weitaus größere Teil von 39 Prozent sieht in der Mitgliedschaft an sich weder besonders positive noch negative Punkte. Das kann man ebenfalls als Skepsis interpretieren, aber auch als Desinteresse, in jedem Fall ist es nicht gleichbedeutend mit Ablehnung. Im medial gewählten Vergleichsland Griechenland hielt übrigens jede/r Fünfte die Mitgliedschaft für eine schlechte Sache, knapp vor Tschechien der höchste Anteil von EU-KritikerInnen. Ein Drittel wollte sich dort ebenfalls nicht festlegen.

Zweitens ist der Vergleich mit früheren Daten für die Einordnung wichtig: Auch 2017 wurde die Frage nach der Mitgliedschaft gestellt, damals sprachen 42 Prozent der ÖsterreicherInnen von einer guten Sache. Die Veränderung bewegt sich an der Grenze der Schwankungsbreite (also jenem Bereich, in dem der tatsächliche Wert mit hoher Wahrscheinlichkeit liegt). Sie ist damit streng genommen nur bedingt aussagekräftig – gesunken dürfte die Zustimmung allerdings nicht sein.

Blickt man zehn Jahre zurück, dann hat die Zustimmung zur EU in Österreich sogar um fast zehn Prozentpunkte zugenommen, Anfang 2008 antworteten nur 36 Prozent positiv. Damals meinte ein gutes Viertel, die Mitgliedschaft sei schlecht, der Anteil der Desinteressierten war ähnlich hoch wie 2018. Geht man noch weiter zurück, ins Jahr des EU-Beitritts 1995, so beträgt der Zuwachs 15 Prozentpunkte. Mitte der 1990er wählten nur 30 Prozent die pro-europäische Antwortmöglichkeit (28 Prozent sahen eine „schlechte Sache“, 34 Prozent meinten „weder noch“).

Die Mitgliedschaft in der EU ist eine gute Sache – Veränderung von 2017/2008/1995 auf 2018

Anmerkung: Anteil der befragten ÖsterreicherInnen, die sagen, dass die Mitgliedschaft in der EU eine gute Sache ist, in Prozent.
Grafik: Flooh Perlot
Quelle: http://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/eu-affairs/20180522STO04020/eurobarometer-umfrage-hochste-unterstutzung-fur-die-eu-seit-35-jahren

An diesem Beispiel lässt sich gut erkennen, dass die Aussagekraft von Zahlen beschränkt ist. Sie sprechen nur selten für sich selbst, sondern entfalten ihre Wirkung erst im Zusammenspiel mit der gewählten Darstellung.