Vom Recht auf Nicht-Berichterstattung in Zeiten der Likes

Pressefreiheit bedeutet für Medien auch das Recht, über manche Themen nicht zu berichten. So wichtig dieses Recht ist, so sehr kann es in Widerspruch zum Informationsrecht stehen, das wiederum die Bevölkerung hat.

Kürzlich ergab eine SORA-Umfrage, dass nur 16% der österreichischen BürgermeisterInnen für die Abschiebung von geflüchteten Personen sind. Günther Ogris stellte bei der Präsentation dieser Umfrage am 2. Oktober 2018 zudem fest, dass „die Bevölkerung mehrheitlich gegen Abschiebungen ist. Mit ihnen bedient die Politik eine Minderheit.“

Das erstaunliche Ergebnis lässt sich ähnlich erklären wie gewisse Bilder aus Katastrophen- oder Kriegsgebieten, die ein individuelles Schicksal hervorheben und damit die Situation erklären. Journalistisch sind solche Schicksalsbilder oder -geschichten meist Selbstläufer, doch wie erklärt man, dass trotz ebensolcher Schicksalsgeschichten über jene aktuelle Umfrage kaum berichtet wurde? Zur Erinnerung: Kürzlich wurden innerhalb von einer Woche zwei Personen abgeschoben bzw. reisten „freiwillig“ aus, die in ihrer jeweiligen Gemeinde als außergewöhnlich integriert galten und dementsprechend viel Unterstützung erhalten hatten – auch von manchen Medien.

Likes und Hashtags als Nachrichtenmacher

Mindestens ebenso interessant ist die Frage nach dem politischen Mehrzweck, Abschiebungen, obwohl anscheinend unpopulär, umzusetzen. Eine Antwort lässt sich in der Logik der Sozialen Medien finden. Der Glaube an die Wahrheit, die hinter einer Nachricht steckt, scheint sich mit der Zahl von Likes und Hashtags zu erhöhen. So gesehen ist es nicht immer die Nachricht selbst, die Politik macht, sondern die Likes und Wege, die eine Nachricht nimmt. Das wird für Kampagnen von Parteien ebenso genützt wie von NGOs. Abschiebungen werden so in der Echokammer zum wichtigen Symbol für eine andere Politik und in der Folge mit dem virtuellen Daumen belohnt –  sowohl pro als auch contra; wobei es nicht eine große Masse, sondern meist die „Macht der Wenigen“ ist, die beeinflusst.

Ein etwas anderer Blick auf die Situation zeigt einen konkreten Zusammenhang mit dem Thema Pressefreiheit (siehe dazu die ADL-Blogbeiträge). Pressefreiheit bedeutet nämlich nicht nur, berichten zu dürfen, sondern auch, manchmal bewusst nicht über ein Thema zu schreiben. Im Zuge der „Mohammed-Karikaturen“ in der Jyllands-Posten im Jahr 2005 und in der Satirezeitschrift Charlie Hebdo (2012) haben zahlreiche Medien davon Gebrauch gemacht und dieses Verhalten als ethisch verteidigt. Schon damals wurde heftig diskutiert, was das korrekte journalistische und solidarische Verhalten gewesen wäre.

Was aber, wenn positive Nachrichten immer wieder gegenüber negativen zurückgehalten werden? Sind wirklich nur bad News good News? Das würde nicht nur Fragen zum Voyeurismus aufwerfen, sondern auch jene nach demokratiepolitischen Folgen, denn wenn die Berichterstattung großteils negative Schlagzeilen hervorbringt, geht neben etlichen anderen Folgen (Wut, Ohnmachtsgefühle, Abkehr von Medien) ein Teil der Informationsvielfalt verloren.

Der Wert des Webs ist Vielfalt

Der Internetexperte David Weinberger sagte in einem Interview, dass der Wert des Webs nur darauf beruhe, dass es Vielfalt präsentiere. So könne man durch das Teilen von Informationen erfahren, wozu man ansonsten vielleicht keinen Zugang hätte. Das bedeutet nicht, dass Echokammern aufgebrochen werden: Man folgt eher den Links von Personen denen man vertraut, und diese haben wahrscheinlich ähnliche Meinungen. Dennoch war diese Vielfalt lange der Hoffnungsträger für mehr Demokratie und Meinungsaustausch. Bekanntermaßen hat es sich anders entwickelt.

Beim ausschließlichen Berichten über negative Entwicklungen ist diese Informationsvielfalt in Gefahr – und damit auch die Möglichkeit des Zugangs zu diesem Wissen. Meinungsfreiheit bedeutet nämlich auch das Recht auf Information. Und gerade an diesem Punkt kollidiert sie zuweilen mit dem Recht der Medien, über etwas nicht zu berichten.

Wenn hingegen eine Regierung Informationen gegenüber bestimmten (regierungskritischen) Medien zurückhält, kommt es naturgemäß und hoffentlich zum Aufschrei nicht nur der Medienbranche. Politisch nutzbar ist der Aufschrei ebenso wie die Selektion von Informationsträgern (Medien). Interessant sind allerdings die Konsequenzen, denn wie zuviel Information den Wert derselben vernichten kann, stellt die Nicht-Information eine politische Leerstelle dar, die sehr wohl Inhalt transportiert – Jörg Haiders berühmte Taferln ließen solche Informationslücken, die wie ein Code funktionierten – für AnhängerInnen wie für GegnerInnen. Nicht selten setzten Aktionen der Zivilcourage genau an jener Leerstelle an. Das war vor der Social Media-Ära, in der fehlende Informationen von Hashtags und Likes imponierend übertüncht werden können, auch wenn sie demokratiepolitisch lediglich die bereits zitierte Macht der Wenigen darstellen. Wenn Meinungsvielfalt und Pressefreiheit, und damit auch das Recht auf Information, in Gefahr geraten, wirkt auch der „Daumen runter“ lediglich wie eine Gewissensberuhigung, wird aber nicht zum Ersatz für demokratische Partizipation oder Zivilcourage.