Die Emokratie handelt nicht unbedingt vom Ende

Die Bevölkerung wird zu oft unterschätzt. Sie ist kein willfähriger Körper, der jeder Emotion und Versuchung erliegt. Sie will und muss aber ernstgenommen werden, um sich nicht aus dem politischen Miteinander zu verabschieden.

 

Demokratie braucht Veränderung, ständig und behutsam. Dafür ist kein Aufruf zur Revolution notwendig, sondern es ist Aufgabe eines demokratischen Systems, Raum für Entwicklung zu bieten. Im besten Fall verändert sich die Demokratie mit den Lebensmodellen der Bürgerinnen und Bürger und wird sukzessive deren Notwendigkeiten angepasst – wobei ein verfassungsrechtlicher Rahmen übereilte oder gar undemokratische Bewegungen ausbalancieren sollte. (*1) Einen solchen Rahmen bietet die österreichische Bundesverfassung.

Die Verwerfungen aufgrund der seit mehr als einem Jahr andauernden Pandemie hat dennoch auch die heimische Demokratie verändert, insbesondere den Blick auf sie. (*2) Letzterer wird immer häufiger von Emotionen begleitet. „Emokratie“ wird das manchmal genannt (*3) und wird selbst gerne emotional verwendet, als handle es sich um das Ende der Demokratie.

Es fehlt der soziale Austausch

Damit ist der Begriff der Emokratie nicht allein. Das Ende der Demokratie wurde schon vielfach ausgerufen. Auch Emotionen in der Politik sind nicht neu. Leidenschaft, Zorn oder auch positiv besetzte Gefühle und der daraus resultierende Handlungsdrang sind immer wieder Anlass, PolitikerInnen und deren Ideen zuzuhören oder um selbst eine politische Laufbahn zu beginnen. Gefährlicher wird es, wenn mit den Gefühlen der BürgerInnen gespielt wird, denn an diesem Punkt sind Menschen und in der Folge ihre emotionalen Entscheidungen besonders verletzlich und manipulierbar. Mit Emotionen Politik zu machen, bedeutet daher, Politik auf Kosten der Bevölkerung.

In einer Krise, die längst nicht mehr nur eine gesundheitspolitische und wirtschaftliche ist, sondern in der mehr und mehr Menschen aufgrund der notwendig gewordenen sogenannten Corona-Maßnahmen vereinsamen, depressiv werden oder Angst haben, wird das Ringen um politische Wahrheiten komplexer. Es fehlt der soziale Austausch. Man begegnet einander nicht mehr, schon gar nicht anderen Lebensentwürfen, Ideen oder Meinungen. Viele umgeben sich seit einem Jahr ständig mit denselben Personen, den ständig gleichen Beschäftigungen, und das Smartphone ist zum besten Freund geworden. Die Personen aus den Pressekonferenzen kennt man auswendig, die Erklärungen ebenso. Dann scheinen die etwas anderen Nachrichten, die man weitergeleitet bekommt oder die der Algorithmus auf den Sozialen Medien für eine/n bereithält, zuweilen verlockender als das, was JournalistInnen verfassen oder was Expertinnen und Politiker einmahnen.

Tatsachen verkommen zu Stimmungen

In der vielzitierten Emokratie lässt man sich davon einfangen, erliegt den Bildern und sucht in manch hübschem Schlagwort das Seelenheil. (*4) Gleichzeitig bedienen PolitikerInnen die Emotionen der BürgerInnen zusätzlich, indem sie Wahrheiten zum Ramschpreis verkaufen und Tatsachen zu Stimmungen verkommen lassen. Dann stellt die Emokratie eine Vorstufe zur Dystopie dar. In einer solchen gehen die Menschen unter, nicht zuletzt an ihren Emotionen. Derweil sind ExpertInnen und PolitikerInnen sind mit anderen Notwendigkeiten der Krise beschäftigt, es fehlt die Zeit zum Zuhören.

Wenn man vom abnehmenden Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie spricht, blendet man meist aus, dass umgekehrt auch die PolitikerInnen Vertrauen in die Bevölkerung haben sollten. Die Dystopie ist noch keine Realität, denn sie lebt nur davon, dass man an sie glaubt. (*5) Genau dieser Zusammenhang bietet einen ersten Lösungsansatz, der zunächst schrecklich langweilig klingt: Medienbildung, politische Bildung und ethische Verantwortung. Insofern kann die Dystopie auch die Aufforderung sein, dass PolitikerInnen die Ethik gegenüber der Emotion in den Vordergrund stellen und die Bevölkerung bereit ist, (Mit-)Arbeit in die eigene Demokratie zu investieren. Denn Demokratie heißt im Gegensatz zur Emokratie, dass man sich als Bürgerin und Bürger jeden Tag entscheiden kann.

 

Endnoten:

(*1) siehe: Adamovich, Ludwig (2020): Wo wir stehen. Wien: edition a

(*2): mehr dazu: Ingruber, Daniela (2020: Corona-Dystopie? Keine Demokratie ohne Hoffnung. in: die Furche, 6. März 2021: https://www.furche.at/politik/corona-dystopie-keine-demokratie-ohne-hoffnung-4845766

(*3) zum Begriff Emokratie siehe: Hofer, Thomas/Tóth, Barbara (2019): Wahl 2019. Strategien, Schnitzel, Skandale. Elsbethen: ecowin Verlag

(*4) siehe auch: Nocun, Katharina/Lamberty, Pia (2020): Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Köln: Quadriga

(*5): mehr dazu: Ingruber, Daniela (2021): Demokratie als Dystopie. in: Wiener Zeitung/Extra, 13./14. März 2021.