Volksbegehren als Korrektiv für Regierungsvorhaben?
Volksbegehren werden von der österreichischen Bevölkerung als zentrales Instrument für politische Partizipation wahrgenommen. Die Fähigkeit von Volksbegehren Regierungsvorhaben tatsächlich und unmittelbar zu beeinflussen, ist eingeschränkt. Jedoch ist der von Volksbegehren indirekt ausgehende politische Druck nicht zu unterschätzen.
Nicht zuletzt seit den Koalitionsverhandlungen nach der Nationalratswahl 2017 und der in diesem Kontext entstandene Debatte um das Rauchverbot in Lokalen sind Volksbegehren als Instrument der politischen Beteiligung in aller Munde. Alleine in diesem Jahr wurden bisher zwölf Volksbegehren initiiert. Diese Volksbegehren adressieren ein breites Themenspektrum, das von Gleichberechtigung über Freihandelsabkommen bis hin zur Abschaffung der Autobahnmaut reicht. Die beiden prominentesten Volksbegehren im Jahr 2018 – das „Don’t smoke – Das Volksbegehren für den Schutz der NichtraucherInnen“ sowie das „Frauen*Volksbegehren 2018“ – haben bereits im Einleitungsverfahren die MindestunterstützerInnen-Zahl von einem Promille der österreichischen Gesamtbevölkerung (circa 8.400 Personen) deutlich überschritten. So unterzeichneten schon zu diesem frühen Zeitpunkt knapp über 590.000 wahlberechtigte ÖsterreicherInnen das „Don’t smoke“-Volksbegehren und knapp 250.000 das Frauen*Volksbegehren.
In der hohen Beteiligung an diesen beiden Volksbegehren setzen sich die Trends der letzten Jahrzehnte in Österreich fort: Insbesondere seit den 1980er und vor allem 1990er Jahren erfreuen sich Volksbegehren zunehmender Beliebtheit. Diese Beliebtheit zeigt sich in einer Studie der Studiengruppe „International Vergleichende Sozialforschung“ der Universität Graz und des Instituts für Empirische Sozialforschung (IFES) aus dem Jahr 2012: 38% der befragten ÖsterreicherInnen haben sich an Volksbegehren oder Volksbefragungen beteiligt. Volksbegehren und Volksbefragungen rangieren somit auf Platz zwei der beliebtesten Beteiligungsformate, die über Wahlen hinausgehen (siehe Grafik).
Ausgeübte Formen politischer Beteiligung (ohne Wahlen)
Circa 65% der Befragten schätzen Volksbegehren im Rahmen dieser Studie als echte Gelegenheit zur Mitentscheidung der Bevölkerung ein. Weiters gaben in dieser Studie 39% der Befragten an, sich an Volksbegehren beteiligen zu wollen, sofern es mehr direkt-demokratische Initiativen in Österreich geben würde. Weitere 45% halten ihre Beteiligung an Volksbegehren zu bestimmten Themen für denkbar.
Tatsächliche Effekte von Volksbegehren
Doch welchen Effekt können Volksbegehren tatsächlich auf die österreichische Politik haben? Formal handelt es sich bei Volksbegehren um ein Instrument zur Initiierung von Gesetzen durch die wahlberechtigte österreichische Bevölkerung. Sofern im Eintragungsverfahren, das sich an ein erfolgreiches Einleitungsverfahren anschließt, 100.000 wahlberechtigte ÖsterreicherInnen (oder 1/6 der Stimmberechtigten dreier Bundesländer) das Begehren offiziell durch Eintragung unterstützen, muss es im Nationalrat wie eine Gesetzesinitiative behandelt werden. Der Gesetzgeber muss sich mit der Materie befassen, er muss jedoch nicht zwingend über sie und auch nicht im Sinne des Volksbegehrens entscheiden. Die Entscheidung über die Umsetzung der Inhalte des Volksbegehrens hängt letztlich vom politischen Willen der Regierung und von den Mehrheitsverhältnissen im Nationalrat ab. Außerdem existiert keine Regelung, dass ab einer bestimmten UnterstützerInnen-Zahl automatisch eine Volksabstimmung oder zumindest Volksbefragung zur Materie des Volksbegehrens in die Wege geleitet wird. Somit können Volksbegehren nur bedingt als Korrektiv für Vorhaben des Gesetzgebers dienen.
Allerdings können Volksbegehren, gerade solche mit hohen UnterstützerInnen-Zahlen, durch politischen Sensibilisierung, Bewusstseinsbildung, Interessen- und Themenartikulation sowie Mobilisierung der Wahlbevölkerung indirekt politischen Druck für die Entscheidung im Sinne des Begehrens auf Parteien und PolitikerInnen im Nationalrat aufbauen. Wenn Volksbegehren mit hohen UnterstützerInnen-Zahlen jedoch ohne direkte politische Konsequenzen bleiben, besteht die Gefahr einer weiter zunehmenden Politik(er)verdrossenheit.