100 Jahre Österreich – Die Verteidigung der Demokratie
Die historischen Rückblicke zum Geburtstag der Republik rücken ins Bewusstsein, dass Demokratie stets aufs Neue gelernt und verteidigt werden muss.
Als die Republik Österreich im Jahr 1918 geboren wurde, war der Kleinstaat mit seinem neuen Regierungssystem zunächst vor allem eine Idee. Für die Bevölkerung schien es nach Ende des bis dahin opferreichsten und grausamsten Krieges nicht unbedingt vorstellbar, was diese Idee für die Zukunft bedeuten könnte. Zu klein schien Österreich, plötzlich unbedeutend und zerrissen. Es musste erst gelernt werden, was es heißt, ÖsterreicherIn zu sein und ein Gefühl für diesen Staat zu entwickeln, der zunächst noch unvollständig war. So kam das Gebiet des heutigen Burgenlands erst 1921 durch den Vertrag von St. Germain zu Österreich, in Kärnten wurde 1920 eine Volksabstimmung zum Verbleib durchgeführt. Das Verhältnis zwischen den westlichen Bundesländern und der Hauptstadt Wien wiederum war mit den Abstimmungen zum Anschluss an Deutschland (Tirol, Salzburg) oder an die Schweiz (Vorarlberg) im besten Fall als kompliziert zu bezeichnen.
Nicht nur die Definition des Staatsgebietes war neu, sondern auch sein politisches System. Insbesondere die Vorstellung, dass das Recht vom Volk ausgeht (Verfassung, § 1), bedeutete sich daran gewöhnen zu müssen, BürgerIn einer Demokratie zu sein. Doch wie die daraus resultierenden Rechte und Pflichten ausüben, wenn man an den Staat an sich nicht glaubt oder zumindest noch kein Verhältnis zu diesem Staat hat? Denn 1918 entstand zwar die Republik Österreich, doch noch keine österreichische Nation.
Demokratie und Nationalismus
So stand nicht nur das Erlernen der Demokratie an, sondern auch die Notwendigkeit, einen gewissen Grad an Nationalismus zu erwerben. Beides wurde zum Teil belächelt und beides ging bekanntlich in den ersten Jahrzehnten massiv schief, wie die zahlreichen Medienberichte zum 100. Geburtstag der Republik Österreich zeigen, deren Schwerpunkte überwiegend auf den Katastrophen dieser Jahre liegen. Von der Ausschaltung des Parlaments (1933), den Februarkämpfen im Jahr 1934, bis hin zum Anschluss an das Deutsche Reich 1938, dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust. All das erinnert daran, dass es nicht selbstverständlich ist, in einer Demokratie zu leben. In Österreich wurde sie mehrfach unterbrochen und blieb für viele Jahre zerbrechlich.
Demokratie ist eine Form des Zusammenlebens, die immer wieder gelernt und verteidigt werden muss. Fast 50 Jahre nachdem Hannah Arendt ihr Buch „Macht und Gewalt“ geschrieben hat, bleibt dieses aktuell, etwa wenn sie schreibt: „Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln. Über Macht verfügt niemals ein Einzelner; sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur solange existent, als die Gruppe zusammenhält“ (Arendt, Hanna 1970: Macht und Gewalt, Piper Verlag: Hamburg, S. 43). Das trifft auf alle in Österreich lebenden Menschen zu. Der 12. November 1918 bedeutet so gesehen weit mehr als die Geburtsstunde der Republik. Er ist ein Symbol für die ständige Verantwortung, die jede/r einzelne BürgerIn ebenso trägt wie ihre gewählten VolksvertreterInnen.