Stadt und Land und alles dazwischen

Vermeintliche und tatsächliche Gegensätze zwischen Stadt und Land werden (nicht nur) im politischen Kontext immer wieder bemüht. Dabei ist es nicht so eindeutig, was genau diese Begriffe beschreiben.

Man muss nicht lange nach Beispielen suchen, international zeigten zuletzt vor allem die US-Präsidentschaftswahlen 2016 und 2020 große Unterschiede im Stimmverhalten zwischen sogenannten urbanen Regionen und ländlichen Gegenden. In Österreich gab etwa die Bundespräsidentenwahl 2016 Anlass zu einigen Analysen unter dem Blickwinkel der Achse StadtLand, wobei man nicht übersehen sollte, dass das Bild einer gesellschaftlichen wie geographischen Spaltung auch durch den Modus der Wahl – eine Mehrheitsentscheidung zwischen zwei Kandidaten – verstärkt wurde.

Stadt/Land in der Politikwissenschaft

In der politikwissenschaftlichen Forschung gehört die Bruchlinie Stadt/Land zur cleavage-Theorie (Lipset/Rokkan 1967), die eine solche Gegenüberstellung neben Arbeit und Kapital, Wirtschaft und Staat sowie Zentrum und Peripherie thematisiert. Empirisch betrachtet lässt sich längerfristig bei Nationalratswahlen ein gewisser Einfluss des Wohnorts Stadt oder Land – ausgedrückt durch die Gemeindegröße – auf das Wahlverhalten zeigen (Kritzinger et al. 2013), wobei nicht alle Parteien gleichermaßen davon betroffen sind und andere Faktoren stärker wirken. Insbesondere sind die ÖVP am Land und die Grünen in der Stadt erfolgreicher, was tendenziell auch 2019 der Fall war.

 

Wahlergebnis der Parlamentsparteien bei der Nationalratswahl 2019 nach Zahl der Wahlberechtigten pro Gemeinde

Wahlergebnis 2019 nach Gemeindegröße

In der Grafik steht jeder Punkt für das Parteiergebnis in einer Gemeinde. Punkte, die weiter rechts liegen, stehen für größere Gemeinden (bis hin zu Wien). Die Punktewolke bei der ÖVP erstreckt sich grob gesprochen z.B. von links oben (=kleine Gemeinden + vergleichsweise hohes ÖVP-Ergebnis) nach rechts unten (=große Gemeinden + vergleichsweise niedriges ÖVP-Ergebnis).

Anmerkung: Angaben in Prozent, logarithmische x-Achse der Wahlberechtigten aufgrund der starken Größenunterschiede; alle Daten ohne Wahlkarten.

Quelle: eigene Darstellung, wahldatenbank.at.

 

Grenzen zwischen Stadt und Land

Wo aber hört das „Land“ auf und wo beginnt die „Stadt“? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Die Vereinten Nationen haben eine Aufstellung zusammengetragen, wie „städtisch“ international definiert wird. In Österreich liegt die Grenze bei 5.000 Einwohner*innen, womit gut 60 Prozent der Bevölkerung in einem urbanen Gebiet leben.

 

Gemeinden mit bis zu und mehr als 5.000 Einwohner*innen

Gemeinden mit bis zu/ab 5.000 Einwohner*innen

Quelle: eigene Darstellung, Statistik Austria 2021a.

 

Aber genügt diese doch recht simple Zahl? Die Europäische Kommission setzt alternativ auf die Bevölkerungsdichte, also nicht nur auf die schiere Menge an Menschen, sondern auch darauf, wie eng beisammen oder weitläufig verstreut sie leben. Die dreiteilige Kategorisierung – dicht, mittel und dünn besiedelt – nützt sowohl die Bevölkerungszahl pro Quadratkilometer als auch den die Gesamtzahl der Menschen in einem Gebiet (sowie darüber hinaus der Anteil der Bevölkerung, die in definierten Rastergebieten leben). Als „dicht besiedelt“ gelten etwa Gebiete mit mehr als 1.500 Einwohner*innen pro Quadratkilometer und mehr als 50.000 Einwohner*innen insgesamt. Je rund 31 Prozent der Österreicher*innen leben demnach in dicht oder mitteldicht besiedelten Gemeinden, der Rest in ländlichen Gegenden.

 

Urbanisierungsgrad der Gemeinden Österreichs

Urbanisierungsgrad der österreichischen Gemeinden

Quelle: eigene Darstellung, Statistik Austria 2021b.

 

Man kann noch weitergehen und darüber nachdenken, ob Gemeinden, die direkt an der Stadtgrenze von Wien liegen, als ebenso ländlich klassifiziert werden sollten wie Gemeinden weitab von großen Städten. Hier kommt die Urban-Rural-Typologie der Statistik Austria ins Spiel, die insgesamt elf Gruppen in vier Hauptkategorien – urbane Zentren, regionale Zentren, ländlicher Raum im Umland von Zentren, ländlicher Raum – unterscheidet. Neben der Bevölkerungsdichte werden dabei zusätzlich vorhandene Infrastruktur, Pendlerverflechtungen und die Erreichbarkeit von regionalen Zentren herangezogen.

 

Österreichs Gemeinden anhand der Urban-Rural-Typologie der Statistik Austria

Urban-Rural-Typologie der Statistik Austria

Quelle: eigene Darstellung, Statistik Austria 2021b.

 

Wo die Bevölkerung subjektiv wohnt

Bleibt noch die Frage, wie die Bevölkerung ihre eigene Heimatgemeinde persönlich einschätzt: Die sechste Welle des ADL-Demokratieradar hat Ende 2020 die Befragten um eine entsprechende Zuordnung gebeten. 46 Prozent sagten, dass sie in einer ländlichen Gegend oder Landgemeinde wohnen, 25 Prozent in einer kleinen oder mittleren Stadt und 28 Prozent in einer Großstadt.

Dieses Ergebnis kann mit den vorhandenen Gemeindeklassen verglichen werden. Zu beachten ist, dass die „objektive“ Zuordnung auf der abgefragten Postleitzahl beruht, wenn also jemand eine falsche oder fehlerhafte Angabe gemacht hat, dann ist auch diese Kategorisierung falsch. Es gibt allerdings keine Hinweise auf eine große Zahl falscher Antworten.

 

Würden Sie sagen, Sie leben in …

einer ländlichen Gegend/Landgemeinde

einer kleinen/mittleren Stadt

einer Großstadt

bis 5.000 Einwohner*Innen

73

23

2

mehr als 5.000 Einwohner*innen

27

77

98

dünn besiedelt

70

21

2

mitteldicht besiedelt

28

63

3

dicht besiedelt

2

16

94

ländlicher Raum

47

12

0

ländlicher Raum im Umland von Zentren

7

11

0

regionale Zentren

27

13

2

urbane Zentren

19

64

98

Lesebeispiel: 73 Prozent der Befragten, die angeben, in einer ländlichen Gemeinde zu wohnen, wohnen in einer Gemeinde mit bis zu 5.000 Einwohner*innen.

In Spaltenprozent, Rest auf 100=keine Angabe; n=4.546.

Quelle: ADL-Demokratieradar, Welle 6, Dezember 2020.

 

Man sieht, dass die Zuordnung vor allem bei der Kategorie „Großstadt“ weitgehend stimmig ist, mehr Abweichungen gibt es in den weniger dicht besiedelten Gebieten, größeren Gemeinden und kleineren Städten.

Soweit einige Beispiele, wie man Stadt und Land in Österreich einteilen kann. Das ist nicht nur eine Spielerei, sondern eine relevante Variable in der Forschung – eben wenn man davon ausgeht, dass (auch politische) Einstellungen zum Teil von den Charakteristika der Wohnregion beeinflusst werden können.

 

Quellen:

Kritzinger, Sylvia/Zeglovits, Eva/Lewis-Beck, Michael S./Nadeau, Richard (2013) The Austrian Voter. Wien.

Lipset, Seymour Martin/Rokkan, Stein (1967) Party Systems and Voter Alignments: Cross National Perspectives. New York.

Statistik Austria (2021a) Gemeinden. https://www.statistik.at/web_de/klassifikationen/regionale_gliederungen/gemeinden/index.html, 19.04.2021.

Statistik Austria (2021b) Gliederungen nach städtischen und ländlichen Gebieten. https://www.statistik.at/web_de/klassifikationen/regionale_gliederungen/stadt_land/index.html, 19.04.2021.

Farbschema der Karten: „Acton“ von Fabio Crameri. https://www.fabiocrameri.ch/colourmaps/, 19.04.2021.