Die Österreichische Sozialpartnerschaft im Wandel

Die Änderungen der Regierung im Arbeitsrecht und die damit einhergehenden Diskussionen um den 12-Stunden-Tag sind derzeit in aller Munde. Das neue Arbeitszeitgesetz wurde ohne vorhergehende Begutachtungsphase in der vergangenen Woche im Nationalrat beschlossen. Dieses Vorgehen hat mit einer traditionellen Praxisder vorparlamentarischen Begutachtung von arbeits- und sozialpolitischer Gesetzgebung durch die Sozialpartner – in Österreich gebrochen und wirft die Frage nach der Rolle der Sozialpartnerschaft in Politikprozessen auf. 

Interessenvertretung und –vermittlung, insbesondere hinsichtlich der Akteure, Prozesse und Prinzipien, war in Österreich sehr lange durch den Neo-Korporatismus geprägt und fand insbesondere im Rahmen der Sozialpartnerschaft statt (siehe Tabelle). Die BürgerInnen und ihre Interessen – vor allem in ihrer Rolle als ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen – wurden in der Zweiten Republik hauptsächlich durch die vier Sozialpartner – die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), die Bundesarbeiterkammer (AK),  die Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ), und der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) –  in politischen Prozessen repräsentiert.  

Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern und mit der Regierung bzw. Verwaltung haben lange Zeit die österreichische Politikgestaltung dominiert. Diese Zusammenarbeit ging oftmals auch über wirtschaftspolitische Fragen hinaus. Diese Aushandlungsprozesse fanden zumeist in informellen, dem parlamentarischen Prozess vorgelagerten Prozessen zwischen der Regierung und den vier InteressenvertreterInnen statt. Darüber hinaus spielten politische Beratungsgremien, in denen VertreterInnen der Sozialpartner einen festen Sitz haben, eine wichtige Rolle. Ein Beispiel hierfür ist der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen, in dem die vier Sozialpartner vertreten sind. 

Die Einbindung der Sozialpartner war, wie das gesamte politische System Österreichs, stark auf die Findung von Konsens und Kompromiss ausgerichtet. Partei- und interessengruppen-übergreifende Einigungen sollten die Kontinuität, Einigkeit und Stabilität des politischen und gesellschaftlichen Handelns nach dem Ende des 2. Weltkriegs gewährleisten. Grundvoraussetzung für das Funktionieren dieses Systems war die Bereitschaft zu einem hohen Grad an Kooperation bei allen beteiligten Akteuren. Um sicherzustellen, dass alle an den Aushandlungsprozessen beteiligten Gruppen den Konsens mittragen und nichts über vorhergehende Diskussionen und Dissens nach außen dringt, war die traditionelle Interessenvermittlung durch geringe Transparenz gekennzeichnet. 

 

Traditionelle und neue Muster der Interessenvertretung in Österreich 

Abkehr von klassischen Mustern 

Seit den frühen 1990er Jahren attestieren ForscherInnen der sozialpartnerschaftlichen Interessenvertretung und -vermittlung einen Niedergang, der mit neuen Mustern der Interessenvertretung und -vermittlung einhergeht. Angesichts veränderter Lebensstile und Werte der österreichischen Bevölkerung sowie zunehmender Globalisierungs- und Europäisierungstendenzen stößt das klassische neo-korporatistischen System der Interessenvertretung und –vermittlung an seine Grenzen. Die daraus resultierende Abkehr von klassischen Mustern lässt sich ebenfalls anhand der Akteure, Prozesse und Prinzipien der Interessenvermittlung und –vertretung beschreiben (siehe Tabelle). 

Gerade ab den 1980er Jahren wurden insbesondere in den Bereichen Umwelt und Menschenrechte vermehrt neue Interessenvertretungsorganisationen, vor allem in Form von Nichtregierungsorganisationen (NROs), gegründet, die Interessen auch in wirtschaftlichen und sozialen Belangen artikulieren. Neben diesen konkurrieren die Sozialpartner im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik auch zunehmend mit weiteren neuen Akteuren, wie Think Tanks, Politikberatungsagenturen und Lobbyisten, die in Politikprozesse eingebunden werden bzw. versuchen die Politikgestaltung in Österreich zu beeinflussen.  

Neben dem Akteursspektrum hat sich die Rolle der klassischen InteressenvertreterInnen in den Politikprozessen gewandelt: Spätestens ab den 2000er Jahren, insbesondere unter der schwarz-blauen Regierung mit Kanzler Wolfgang Schüssel, wurde der Zeitrahmen für das Begutachtungsverfahren von Gesetzesvorlagen immer wieder verkürzt oder gar die formelle und informelle Einbindung der Sozialpartner, vor allem auf der Arbeitnehmerseite, umgangen. Demgegenüber wurden immer häufiger Kommissionen ins Leben gerufen, die nicht durch die Sozialpartner sondern andere, teilweise wissenschaftliche, ExpertInnen besetzt wurden. Da NROs in die klassischen Formate der Interessenvertretung und –vermittlung nur selten eingebunden waren, haben sie außerdem Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit als Mittel zur Interessenvertretung und –durchsetzung etabliert. Insbesondere auf lokaler Ebene zeichnet sich außerdem ein Trend in Richtung steigender BürgerInnenbeteiligung ab.  

Die Diversifizierung des Akteursspektrums führt letztlich dazu, dass heute deutlich mehr und andere Akteure in politischen Prozessen koordiniert werden müssen. Die Hinwendung zu anderen Formaten der Interessenvertretung und die teilweise damit einhergehende abnehmende Abstimmung spezifischer Interessen führen immer wieder zu öffentlich stärker wahrgenommenen und häufiger öffentlich ausgetragenen Konflikten. Dies zeigt sich beispielsweise in den Beschlüssen zum neuen Arbeitszeitgesetz mit dem 12-Stunden-Tag, das eine Reihe öffentlicher Proteste hervorgerufen hat.