Der Bundesrat – ein österreichisches Spezifikum?
Das österreichische Parlament ist ein Zweikammernparlament, welches sich aus dem Nationalrat und dem Bundesrat zusammensetzt. Das verfassungsmäßig garantierte Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern hat lange Tradition und doch flammt immer wieder eine Debatte über die Rolle des Bundesrates auf. Für eine Diskussion über Sinn und Zweck einer Länderkammer lohnt sich ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern als Ausgangspunkt.
Der österreichische Bundesrat ist die Länderkammer und sorgt für eine Vertretung der Länderinteressen in der Bundesgesetzgebung. Um diese Aufgabe zu erfüllen, besitzt der Bundesrat in Gesetzesmaterien, die die Kompetenzen der Länder oder die Rechte des Bundesrates betreffen, ein absolutes Einspruchsrecht. Mit einigen Ausnahmen besitzt er bei den übrigen Gesetzesbeschlüssen des Nationalrats ein aufschiebendes Veto. Außerdem kann er Gesetzesinitiativen starten (unterstützt von mindestens einem Drittel seiner Abgeordneten) und verschiedene Kontrollrechte erlauben es ihm gegenüber der Bundesregierung eine Aufsichtsfunktion einzunehmen. Im Vergleich mit dem Nationalrat besitzt der Bundesrat dennoch weit weniger politisches Gewicht. Er ist auch nicht wie dieser direkt von den WählerInnen gewählt, sondern wird indirekt über die Landtage beschickt.
Ist der österreichische Bundesrat mit seiner eben kurz umrissenen Struktur nun also ein österreichisches Spezifikum? Die Grafik beantwortet diese Frage und zeigt jene Mitgliedsländer der Europäischen Union, die ein Zweikammernparlament besitzen (blau hinterlegt). Tatsächlich gibt es in 13 der 28 EU-Staaten eine zweite Kammer. Da insbesondere große und bevölkerungsreiche Länder eine solche Institution haben, leben insgesamt 85 Prozent der EU-Bevölkerung in einem Land mit einer zweigliedrigen Legislative.
EU-Länder mit und ohne zweiter Kammer
Anmerkung: Die Grafik zeigt die Länder der Europäischen Union und färbt jene EU-Länder in blau, die ein Zweikammernparlament besitzen.
Grafik: Flooh Perlot
Quelle: Kreppel, Amie (2011: 130). Legislatures, in: Caramani, Daniele (Hrsg.): Comparative Politics, 2. Auflage, Oxford University Press: Oxford und New York sowie in Ergänzung die Homepages der nationalen Parlamente.
Die genauere Betrachtung der Basis der Repräsentation, des Selektionsmodus und der Machtverteilung zwischen den Kammern macht jedoch auch vorhandene Unterschiede zwischen den etablierten Modellen deutlich. Die Basis der Repräsentation gibt an, welche Interessen durch die zusätzliche Kammer repräsentiert werden sollen. Wie auch in Österreich sind das oftmals kleinteiligere Einheiten des Bundesgebiets (etwa in Deutschland, Frankreich oder Italien). In anderen Ländern steht die Vertretung bestimmter sozialer Klassen im Mittelpunkt wie im Vereinigten Königreich (etwa Adelige, Bischöfe) oder in Slowenien (beispielsweise Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen).
Knapp die Hälfte aller zweiten Kammern werden direkt gewählt, die übrigen werden ähnlich wie in Österreich über bereits gewählte Volksvertretungen beschickt. Wiederum bildet das Vereinigte Königreich hier eine Ausnahme, da die VertreterInnen durch den Premier ernannt oder zum Teil auch noch vererbt werden. Auch in Irland werden einige VertreterInnen ernannt. Außerdem ist die Machtverteilung zwischen den Kammern interessant: Hier überwiegt eindeutig eine ungleiche Machtverteilung zwischen den Kammern, die zugunsten der ersten Kammer ausfällt. Lediglich in Italien und in Rumänien sind beide Kammern gleichberechtigt an der Politikgestaltung beteiligt. In diesen Ländern haben auch beide Häuser eine direkte Legitimation durch die Wählerschaft.
Der österreichische Bundesrat ist demnach kein nationales Spezifikum. Diese Schlussfolgerung soll allerdings nicht – und kann freilich auch nicht – die weitere Diskussion über dessen Rolle beenden. Ganz im Gegenteil möchte sie vielmehr ein Puzzlestein eines lebendigen, offenen Diskurses über das politische System in Österreich sein. Weitere Puzzlesteine folgen auch in diesem Blog.